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Macrovipera lebetina obtusa Biss02
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Arm Bild01
Arm Bild02

Aus: Herpetofauna (Weinstadt), 26: 14 - 16

Die Folgen eines schweren Bisses von Vipera lebetina obtusa seine medizinische Behandlung und Spätfolgen

mit 2 Abbildungen von DR. HILDEGUNDE PIZA und 1 vom Verfasser

Zusammenfassung: Der Autor beschreibt ausführlich die Auswirkungen eines Bisses von Vipera lebetina obtusa und den weiteren Krankheitsverlauf.

Summary: The author gives a detailed description of the consequences of a snake-bite of Vipera lebetina obtusa and the progress of the illness.

Am 4. Mai 1982 wurde ich in der Südtürkei nahe der Stadt Iskenderun beim Erklettern eines Felshügels von einer Levanteotter in den rechten Unterarm gebissen. Die Schlange war ca. 150-160 cm lang, und ihr Körper hatte einen Durchmesser von ungefähr 5-6 cm. Der Biss erfolgte mit großer Wucht und traf den rechten Arm mit beiden Zähnen ca. 5 cm über dem Handgelenk an der Arminnenseite; darüber hinaus waren auch noch Abdrücke kleiner Zähne zu sehen. Unmittelbar nach dem Unfall wurde der Arm ein Stück über dem Ellbogen abgebunden. Auf ein Aufschneiden der Bissmarken wurde verzichtet, da die Giftzähne mit der ganzen Länge in das Gewebe eingedrungen waren, und auf Grund deren Länge (20-25 mm) angenommen werden konnte, dass der eigentliche Vergiftungsherd nicht getroffen worden wäre. Außerdem bestand die Gefahr des Auf- bzw. Durchschneidens einer Vene.
Wie sich später herausstellte, dürfte die Schlange mindestens mit einem Zahn ein großes Blutgefäß getroffen haben.
Sofort nach Anlegen der Staubinde kehrte ich in etwa 20 Min. zum Auto zurück. Bereits hier zeigte sich eine starke Schwellung bis zum halben Oberarm sowie eine Dunkelverfärbung. Nach halbstündiger Fahrt erreichten wir das Krankenhaus in Iskenderun. Nach Erklärung der Sachlage und Betrachtung durch einen Arzt bekam ich 20 ml Serum in das Gesäß injiziert. Da danach keine Besserung eintrat - die Schwellung hatte bereits die Schulter erreicht, der ganze Arm hatte sich gelbgrün verfärbt, und es traten erste Blasen auf -, versuchten meine Freunde, bei praktischen Ärzten und in Apotheken weiteres Serum zu bekommen, was nach ungefähr 2 Stunden auch gelang. Als die Schwester, die mir das erste Serum spritzte, die neuen Ampullen sah, wollte sie uns weismachen, dass es um falsches Serum handelte. Es waren jedoch "Behringwerk-Ampullen: Vorderer und Mittlerer Orient", so dass ein Irrtum ausgeschlossen werden konnte. Schließlich stellte sich heraus, dass es sich bei dem ersten Serum um Skorpionserum gehandelt hatte. Ich bekam nun 20 ml von dem neuen Serum ebenfalls das Gesäß injiziert. Auch erklärte man uns, dass uns in diesem Spital keine weitere Hilfe gegeben werden könnte, und verwies uns an das Krankenhaus in dem 150 km entfernten Adana. Die Fahrt dorthin erfolgte im eigenen Campingbus. Auch hier bekam ich wieder 30 ml des letzteren Serums, andere Behandlungen wurden nicht durchgeführt. Meine Lage verschlechterte sich zusehends, obwohl bis zu diesem Zeitpunkt die erwarteten Sekundärvergiftungserscheinungen, Durchfall und Erbrechen, ausblieben.
Am späten Abend des 5. Mai, 36 Stunden nach dem Schlangenbiss, wurde nach massiver Ödementwicklung im Bereich des rechten Armes, Körpers und linken Armes eine Fasziotomie (Aufschnitt zur Druckentlastung gegen Sensibilitätsstörungen und Durchblutungsstörungen) des rechten Unterarmes durchgeführt.
Da ich trotz aller bisher durchgeführten Maßnahmen bereits in höchster Lebensgefahr schwebte, verständigten meine Freunde meine Eltern in Österreich, die ihrerseits sofort die österreichische Flugrettung alarmierten. Eine genauere Untersuchung im Flugzeug ergab eine stark eingeschränkte Nierenfunktion und eine ebenfalls stark herabgesetzte Gerinnungsfähigkeit des Blutes mit Austritt in das Gewebe. Dadurch kam es nach Absinken des Blutdruckes auf extrem niedere Werte zu einem Kreislaufkollaps. Auf eine Amputation des rechten Armes konnte vorerst verzichtet werden. Am 7.5. gegen 4.30 Uhr traf ich in Wien ein und wurde sofort in die 1. Medizinische Universitätsklinik gebracht. Der Aufnahmebefund zeigte folgendes Bild: massive Ödembildung des gesamten Oberkörpers mit beiden Armen. In der Fasziotomiewunde sah man schwärzlich verfärbte Muskulatur. Außerdem wurden eine Hypalbuminänie (Verminderung des Eiweißes im Blut), eine Thrombozytopenie (Verminderung der Blutblättchen, die die Gerinnung einleiten), eine mäßige Gerinnungsstörung und eine eingeschränkte Nierenfunktion festgestellt.

rechter Arm, etwa 40 Stunden nach dem Biss, bei der Ankunft in Wien

Rein subjektiv betrachtet, hatte sich mein Zustand wohl etwas gebessert, da ich mich nun wieder an Einzelheiten erinnern konnte, was zwischen der Ankunft im Krankenhaus Adana und dem Rückflug bis Wien nicht möglich war.
Als Soforttherapie erhielt ich in Wien Antiserum, Albumin, Frischblut, Heparin, Dopamin, eine antibiotische Abschirmung und eine Tetanusprophylaxe. Am 7. Mai um 20 Uhr wurde ich operiert. Es sollte eine Gegeninzision (Gegeneinschnitt) am rechten Unterarm durchgeführt werden. Bei der Faszienspaltung stellte sich heraus, dass die Armmuskulatur komplett nekrotisch war. Es wurde daher eine hohe Amputation des rechten Armes durchgeführt.

Arm nach der Amputation. Trotz schlechter Bildqualität ist die nekrotische Muskulatur gut zu erkennen.

Nach der Operation kam ich auf die Intensivstation, wo ich nachbeatmet wurde, da sich auch eine Nekrose der Lunge herausstellte. Nach zusehender Besserung wurde die künstliche Beatmung am nächsten Tag eingestellt. Am 2. Tag nach der Operation fühlte ich mich wieder viel schwächer. Außerdem bemerkte ich Gefühlsstörungen im linken Arm sowie in beiden Beinen. Die Beine waren auch ab den Knien wie tot; ich konnte sie überhaupt nicht mehr bewegen.
Eine neurologische Untersuchung brachte Parästhesien in allen Extremitäten sowie komplette Ausfälle der Motorik in den Beinen. Auch die Nervenleitgeschwindigkeit war allgemein stark verlangsamt. Wieder erhielt ich eine Infusion von 30 ml Serum, da angenommen wurde, dass die neurotischen Störungen auf das stete Vorhandensein von Schlangengift zurückzuführen seien. Eine Untersuchung des Rückenmarkes auf eventuelle Schädigungen verlief negativ.
Nach 8 Tagen Aufenthalt auf der Intensivstation wurde ich auf die normale Station verlegt, weitere 4 Wochen später in häusliche Pflege entlassen. Da mir mitgeteilt wurde, dass ich mit einer Besserung der Lähmungserscheinungen in einigen Wochen bis Monaten rechnen könnte, war ich sehr zuversichtlich. Als ich eine Woche bettlägerig zu Hause verbracht hatte, traten jeden Abend Fieberschübe bis auf über 40°C auf. Ich wurde daher in die Salzburger Nervenklinik gebracht, da es auch zu einer Polyneuritis kam, bei der jedes Berühren meines Körpers sehr starke Schmerzen verursachte. Das Fieber konnte durch hohe Penicillingaben zum Abklingen gebracht werden, gegen die Nervenentzündung bekam ich in der Klinik Infusionen. Nach 3 Wochen Krankenhausaufenthalt führte ich die Behandlung zu Hause mit Tabletten weiter. Ich musste nun bis gegen Ende Dezember im Rollstuhl fahren.
In der linken Hand waren die Sensibilitätsstörungen bis auf die Fingerspitzen abgeklungen. Auch konnte ich mit dem linken Fuß wieder kraftlose Bewegungen ausführen. Doch traten nun starke Beugekontrakturen in beiden Knien auf (Streckdefizit links: 100°, rechts: l10°). Durch die zu Hause und im Braunauer Spital durchgeführte physikotherapeutische Behandlung klangen die Lähmungserscheinungen immer weiter ab, nur konnte der rechte Fuß ab dem Knie immer noch nicht bewegt werden, obwohl nun schon an manchen Stellen bei Versuchen Schmerz und Wärmeunterschiede empfunden wurden.
Leider bekam ich Anfang August auf Grund der hohen Frischblutgaben eine Serumhepatitis, die erneut einen 3wöchigen Krankenhausaufenthalt notwendig machte. Da ich fast nur durch Infusionen ernährt wurde, magerte ich bis auf fast 40 kg ab.
Nach der Entlassung aus dem Braunauer Spital kam ich zur Rehabilitation und weiterführenden physikalischen Behandlung in das Rehabilitationszentrum Bad Häring/Tirol. Die hier massiv durchgeführte physikalische Therapie brachte stete Besserung, so dass ich Mitte Januar auf Probeurlaub nach Hause fuhr. Die bei der vorübergehenden Entlassung noch nicht vollständig verschwundenen Beugekontrakturen (Streckdefizit in den Knien links: 30°, rechts: 20°) besserten sich im Verlauf der letzten 6 Wochen derartig, dass ich Anfang März 1983, 10 Monate nach dem Biss, wieder fast normal gehen konnte. Die Kraft in den Beinen dürfte heute (März 1983) ca. 50% des Normalwertes betragen. Außerdem treten an beiden Oberschenkeln und in beiden Füßen stellenweise Sensibilitätsstörungen auf, und die Bewegungsfähigkeit der Zehen ist noch immer eingeschränkt.

Anschrift des Verfassers:
MARIO SCHWEIGER

Linzer Str. 41
A-5280 Braunau/Inn

Anmerkung der Redaktion: Wie dieser tragische Unglücksfall zeigt, kann eine herpetologische Exkursion mit erheblichen Gefahren verbunden sein. Grundsätzlich sollte man in Gegenden, wo Giftschlangen vorkommen, äußerst vorsichtig sein und Stiefel sowie Handschuhe tragen. Unwegsames Gelände ist zu meiden, denn gerade hier sind die Schlangen wegen ihrer Tarnfärbung schwierig zu erkennen. Leider werden die Gefahren eines Bisses von europäischen und euroasiatischen Giftschlangen sowie deren Folgen unterschätzt und verharmlost, obwohl gerade die euroasiatischen Viperiden in ihrer Giftwirkung manchen Crotaliden in keiner Weise nachstehen. Auch sollte man bedenken, dass die medizinische Versorgung nicht überall gewährleistet ist, die Mitnahme von entsprechendem Serum ist nur dann zweckmäßig, wenn eine dauernde Kühlung des Serums auf 6-10°C während des Transportes garantiert werden kann.

Nachbemerkung, nun fast genau 20 Jahre nach dem Biss: Von den oben erwähnten langanhaltenden Spätfolgen sind heute noch folgende vorhanden, mit einer weiteren Besserung ist nicht mehr zu rechnen: Sensibilitätsstörungen in allen Fingerspitzen der linken Hand; häufige Phantomschmerzen; Linker Fuß: taubes Gefühl, fast ohne Schmerzempfinden abwärts des Knöchels, kein gezieltes Bewegen der Zehen, Fuß kann nur eingeschränkt bewegt werden; Rechter Fuß: taubes Gefühl in der Fußsohle und den Zehen, diese können nur eingeschränkt bewegt werden; Nervenleitgeschwindigkeit in beiden Beinen noch immer stark verlangsamt; eingeschränkte Nierenfunktion.

Quelle: http://www.vipersgarden.at/biss.php

Anmerkungen von Ralf Rebmann: Sicher wird heute ein Biss durch diese Schlange heute auf einer anderen Weise therapiert und die Folgen sind nicht so dramatisch.

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Stand: 26. Dezember 2009

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