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B-/C-Terrorismus

Gefahr der Verwendung von Massenvernichtungswaffen durch Terroristen

Stand: 03.01.2002

Allgemeine Gefährdungslage

Die Selbstmordanschläge auf das World-Trade-Center in New York und das Pentagon in Washington sowie die Anschläge mit Anthrax-Briefsendungen unterstreichen aktuell die Aufgabe der Sicherheitsorgane, sie Bedrohung durch terroristische Verwendung von Massenvernichtungswaffen zu bewerten. Zur Einschätzung der Eintrittswahrscheinlichkeit künftiger Schadens- oder Bedrohungsfälle orientieren wir uns

  • am Täterkreis und seinen Zielen
  • sowie der Verfügbarkeit von Massenvernichtungsmitteln.

Grundsätzlich sprechen gegen den Einsatz von Massenvernichtungsmitteln Schwierigkeiten bei

  • Beschaffung, Herstellung und Handhabung,
  • der Kalkulation der Auswirkungen
  • ihren zeitlichen und örtlichen Begrenzungen und
  • die Eingrenzung der vorgesehenen Opfergruppen.

Dadurch kann es Vermittlungsprobleme in eigenen Reihen geben. Darüber hinaus muss bedacht werden, dass die weltweite Ächtung von Massenvernichtungsmitteln bei einem tatsächlichen Einsatz unweigerlich

  • die Reaktion des vollständigen Sicherheitspotenzials nicht nur des angegriffenen sondern aller verbündeter Staaten zur Folge hätte,
  • die nahezu weltweite Isolation der Tätergruppe,
  • ihre Disqualifikation als Verhandlungspartner und damit die Unmöglichkeit, politische Ziele zu erreichen.

Täterkreis

Allgemein gebräuchlich ist inzwischen der von den USA übernommene Terrorismus-Begriff. Er umfasst Einzeltäter oder Tätergruppen, die sich zur Durchsetzung ihrer Ziele terroristischer Mittel, also gerade auch der Massenvernichtungsmittel, bedienen.

Die Sicherheitsorgane gehen davon aus, dass je rationaler Tätergruppen die Durchsetzung ihrer Ziele anstreben, desto weniger wahrscheinlich die Verwendung von Massenvernichtungsmittel wird. Dies muss grundsätzlich auch bei Terroristen angenommen werden.

Je mehr sich jedoch die Tätermotivation allerdings ideologisch-fanatisch orientiert, desto weniger kalkulierbar sind die Reaktionen. das heißt, je mehr sich die Täter mit ihren Zielen und ihrer Ideologie von unserer westlichen Wertevorstellung entfernen, desto schwieriger sind sie für uns nachvollziehbar oder vorhersehbar. Eine Bewertung von Verhaltungsweisen ideologisch-fanatischer Einzeltäter und Gruppen, besonders wenn sie religiös verbrämt sind, oder Geisteskranker ist spekulativ und kaum möglich.

Massenvernichtungsmittel werden nach wie vor hauptsächlich als Drohpotenzial und weniger als tatsächliches Mittel zur Durchsetzung von Zielen bewertet.

Dafür sprich auch eines der Usama bin Laden-Videos, indem er den eigenen Einsatz von B- und C-Massenvernichtungsmitteln lediglich als Gegenzug auf einen etwaigen US-amerikanischen Einsatz androht.

Verfügbarkeit international

Sichergestellte Unterlagen beweisen aktuell, dass zur Ausbildung  von Terroristen in Afghanistan auch der Umgang mit B- und C-Massenvernichtungsmitteln gehörte. Einfache Vorschriften geben sorgfältig erstellte Anleitung zur Herstellung von Giftgasen aus dem Ersten Weltkrieg, keine Nervenkampfstoffe, die vor Ort aus frei zugänglichen Vorprodukten durch Zusammenfügen erzeugt wurden. Szenarien für die Anwendung sind aufgeführt. In den Kamps haben die Teilnehmer während ihrer einjährigen Ausbildung selbst Giftgase hergestellt und an Tieren getestet.

Darüber hinaus werden einfachste Vorschriften zur Herstellung von zu den biologischen Kampfstoffen zählenden Giften (Botulismus-Toxin, Ricin) mit Tierversuchen beschrieben.

Eine der dargestellten Optionen  ist die Ausbringung von Giftstoffen mit Sprühflugzeugen. Diese sind zwar grundsätzlich dazu geeignet, aber die technischen Probleme sind erheblich: Benötigt werden - technisch bedingt - größere Mengen an Kampfstoffen; die aktuellen und regionalen klimatischen Verhältnisse sind zumal aus der Distanz, kaum vorhersehbar, spielen aber eine entscheidende Rolle.

Verfügbarkeit national

Beschaffung, Herstellung und Handhabung von B-Kampfmitteln erfordern gerade wegen des Risikos einer Selbstinfektion hohe Standards hinsichtlich Laborausstattung, Sicherheitstechnik und Schutzausrüstung. Geeignete biologische Agenzien stehen nicht zur freien Verfügung. Trotz Überwachung der wenigen autorisierten Einrichtungen ist ein Missbrauch natürlich nicht auszuschließen. Erkenntnisse darüber liegen nicht vor.

Bei C-Kampfmitteln ist bereits das legale Beschaffen der Vorläufersubstanzen, den Precursern, problematisch. Durch die verstärkten internationalen Maßnahmen zur Bekämpfung der Proliferation sind diese Chemikalien aus dem Angebot des freien Handels weitestgehend herausgenommen.

Kurz eingehen möchte ich auf die chemischen Kampfstoffe, z.B. Kraftstoffe, Schädlingsbekämpfungs- und Reinigungsmittel oder Säuren, die in großer Vielfalt und Häufigkeit  auf unseren Straßen transportiert werden. Ihre Beschaffung ist bei unterschiedlichen gesetzlichen Bestimmungen und Freizügigkeit im grenzüberschreitenden Handel im In- und Ausland legal möglich. Die Wirkung einiger dieser Substanzen ist der von C-Kampfstoffen vergleichbar, wie eine Reihe von Chemieunfällen weltweit zeigt, z.B. in Seweso / Italien 1976 (Dioxin), in Bhopal / Indien 1984 (Pestizide) und in Toulouse / Frankreich (Ammoniumnitrat). Das für die Herstellung und den Einsatz solcher Gefahrstoffe erforderliche Fachwissen ist weltweit verbreitet und wird in der öffentlichen Literatur und im Internet hinreichend beschrieben. Ihre Handhabung ist oft - im Vergleich zu den Voraussetzungen beim Umgang mit biologischen Agenzien - mit deutlich weniger Aufwand und Gesundheitsrisiko verbunden; damit erscheinen sie als Ersatzmittel für potentielle Täter durchaus geeignet.

Die Wirksamkeit von biologischen oder chemischen Massenvernichtungsstoffen hängt wesentlich von der Art ihrer Ausbringung ab. Zur militärischen Anwendung ist hoch entwickelte Träger- und Ausbringungstechnologie notwendig, über die die bekannten Terrorgruppen bislang nicht verfügen.

Allerdings muss auch ein im militärischen Sinn nicht professioneller Einsatz, z.B. von Drohnen, ferngesteuerten Klein- oder Sprühflugzeugen oder die Versendung per Post, einkalkuliert werden, wobei die beabsichtigte Wirkung möglicherweise nicht , allenfalls in einem begrenzten umfang erreicht werden kann.

Die bisherige Lagedarstellung wie auch die nun folgenden Bewertungen sind - im Rahmen der jeweiligen Zuständigkeiten von Bundeskriminalamt, Bundesamt für Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst - gemeinsam erarbeitet. Natürlich arbeiten die Sicherheitseinrichtungen nicht nur in Deutschland eng zusammen, sondern stimmen sich selbstverständlich auch mit ihren internationalen - hier vor allem mit dem amerikanischen, dem britischen und dem französischen - Partnerdiensten ab. Insofern kann ich Ihnen hier eine mit den Nachrichten- und Sicherheitsdiensten der westlichen Verbündeten abgestimmte Bewertung übermitteln.

Bewertung international

Wie am Beispiel der Terror-Ausbildung in Afghanistan dargestellt haben Terroristen grundsätzlich die Möglichkeit, B- und C-Massenvernichtungsmittel in kleineren Mengen herzustellen und einzusetzen. Das benötigte Wissen, die erforderliche Ausrüstung, Vorprodukte und Agenzien sind verfügbar. Die beschriebenen Herstellungsmethoden und Ausbringungsmittel sind für Anschläge auf Einzelpersonen oder kleinere Einrichtungen geeignet. Angriffe auf Menschenversammlungen und größere Einrichtungen lassen sich damit nicht durchführen. In den Diskussionen und Besprechungen werden immer wieder Szenarien dargestellt, die eventuell vorstellbar sind. Als "worst case" wird dabei gerne die Love-Parade in Berlin beschrieben. Mehr als einer halben Million Teilnehmer, über denen Terroristen mit einem Sprühflugzeug biologische Agenzien ausbringen mit der Folge von mehreren tausend bis zu zigtausend Infizierten. Diese kehren dann noch unkontrolliert und unregistriert in ihre Heimatorte zurück und infizieren als Zeitbomben unkontrollierte weitere Kontaktpersonen. Dieses Szenario ist als Vorstellung zulässig, um eine Situation zu überzeichnen, und damit in eine bestimmte Richtung zu argumentieren. Mit den den Nachrichtendiensten bekannten Informationen lassen sich solche Szenarien nicht begründen.

Die Auswertung der offiziellen amerikanischen Informationen zu den Anthrax-Briefpostsendungen in den USA stützt zunehmend die These, dass eher weniger für Personen aus dem Umfeld von Usama bin Laden als vielmehr innerhalb der USA eine Taturheberschaft anzunehmen ist.

Die Verfügbarkeit über B- und C-Kampfstoffe ist auch für Staaten anzunehmen, die im Verdacht stehen, terroristische Organisationen zu unterstützen. In erster Linie gilt dies auch für den Irak, aber auch für den Iran, für Libyen, Sudan, Syrien und Nordkorea. Nordafrikanische oder arabische Staaten sind vermutlich bis 2005 in der Lage, zumindest Süd-Ost-Europa mit Trägersystemen zu erreichen.

Bewertung national

In Deutschland ist kein Fall des Einsatzes  von Massenvernichtungsmitteln durch Terroristen belegbar.

Es liegen auch keine Anhaltspunkte vor, die darauf schließen lassen, dass Terroristen oder Sekten solche Straftaten begehen könnten.

Mehr als 4000 Meldungen über sogenannte Anthrax-Verdachtsfälle bis zum Jahreswechsel stellten sich als falscher Alarm oder Trittbrettfahreraktionen heraus; derzeit gehen kaum noch weitere Meldungen ein. Ähnliche Erfahrungen werden nahezu weltweit gemacht.

Der Zusammenbruch des Taliban-Regimes dürfte keine Auswirkungen auf die Gefährdungslage in Deutschland haben.

Im Falle des Todes von Usama bin Laden ist mit Demonstrationen und anderen Protestveranstaltungen zu rechnen, vor allem, wenn die entsprechenden Umstände durch anti-amerikanische Kreise, insbesondere Angehörige des linksextremistischen Spektrums, als "Hinrichtung" interpretiert werden. Hierbei erscheinen auch situativ begründete Gewalttaten (Sachbeschädigungen, Widerstandshandlungen u.ä.) als wahrscheinlich.

Zudem könnten bislang unbekannt gebliebene Mitglieder des Netzwerkes von Usama bin Laden, - Sie kennen den Begriff "Schläfer" - dies zum Anlass für schwerste Straftaten, auch terroristische Anschläge insbesondere gegen US-amerikanische, israelische, jüdische und britische Einrichtungen nehmen.

Die Festnahme von Usama bin Laden würde zu einer lang anhaltenden, insbesondere amerikanische Interessen betreffenden Lageverschärfung führen, bei der auch Freipressungsszenarien mit Androhung oder Begehung schwerster Gewalttaten einzukalkulieren sind.

Dennoch werden Anschläge in der Dimension der Ereignisse vom 11.09.2001 in den USA sowie Anschläge mittels biologischer bzw. chemischer Kampfstoffe in Deutschland nach wie vor für eher unwahrscheinlich erachtet.

Zur Ausübung von Druck durch Terroristen auf politische Entscheidungsträger muss zumindest die Drohung mit Massenvernichtungsmitteln und bei irrational handelnden Fanatikern, insbesondere Selbstmordattentätern, auch ein tatsächlicher Einsatz - wenn auch in dem dargestellten eher engen Rahmen der technischen Möglichkeiten - einkalkuliert werden.

Angesichts der Gefährlichkeit der Stoffe ist allerdings schon jede Androhung - durchaus auch falscher Alarm - unter Umständen geeignet, Panik unter der Bevölkerung und unter diesem Druck der Öffentlichkeit manchmal auch überzogen erscheinende Reaktionen der Sicherheitseinrichtungen auszulösen.

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Stand: 21. Oktober 2007