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Intox Dryopteris03
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Filmaronoel-Vergiftung, toedliche, medizinale?

Bericht von K. Wilkoewitz, Institut für gerichtliche und soziale Medizin der Universität Königsberg.

Am 8. Januar 1930 verstarb in E. im Alter von 32 Jahren der Patient S., nachdem er 7 Stunden vorher – gegen 14 Uhr – die Bandwurmkur mit Filmaronöl begonnen hatte. Aus der Anamnese sei hervorgehoben, dass er dasselbe Mittel schon im Jahre 1925 einmal eingenommen hatte, was damals große Müdigkeit und Übelkeit im Gefolge gehabt hatte. Auch gaben die Angehörigen an, dass er ein starker Zigarettenraucher gewesen sei. Am Todestag selbst soll er nur wenige Zigarren geraucht haben.

Nachdem er am Vormittag des Todestages nur eine Tasse Kaffee zu sich genommen hatte, nahm er gegen 13,30 Uhr zwei Esslöffel Brustpulver, trank danach Kaffee und hierauf den Inhalt eines Fläschchens Filmaronöl (10 g). Dann legte er sich zu Bett. Nach etwa 2 Stunden gingen Teile eines Bandwurmes ab. Der Patient schlief darauf etwa ¼ Stunde, wachte dann aber auf, weil er von sehr großen Schmerzen gequält wurde. Nach vorübergehender Besserung setzten die Beschwerden mit erneuter Heftigkeit wieder ein. Er äußerte, es verbrenne ihm die Speiseröhre und reiße ihm die Lunge heraus. Es wurde ein Arzt hinzugezogen, der ihm Morphium und zwei Tabletten Erythroltetranitrat gab. Die Schmerzen ließen etwas nach, doch konnte der Patient nicht einschlafen. Er bekam auf Anordnung des Arztes noch eine Tablette Erythroltetranitrat und eine Tasse Milch. Darauf legte er sich auf die rechte Seite und wollte versuchen zu schlafen, jedoch ohne Erfolg. Auf Gespräche ging er nicht ein, antwortete nur mit ja oder nein, legte sich dann plötzlich auf die andere Seite und starb.

Der behandelnde Arzt stellte als unmittelbare Todesursache Angina pectoris fest und bescheinigte, dass der Patient bei seinem Eintreffen das typische Krankheitsbild der Angina pectoris bot: stärkste Schmerzen in der Brust und schwerstes Beklemmungsgefühl. Nach einer Morphiuminjektion und Erythroltetranitrattabletten sei eine vorübergehende Besserung im Zustand des Kranken eingetreten, bis ein plötzlicher Herzstillstand dem Leben ein Ende bereitete. Da die Angehörigen sich mit dieser Diagnose nicht zufrieden gaben, sondern vielmehr an eine Vergiftung durch das Bandwurmmittel glaubten, fand auf Anordnung der Staatsanwaltschaft am 11. Januar 1930 die Sektion statt.

Sie hat keine sichere Todesursache ergeben.

Namentlich fehlten an den Koronargefäßen wie am Herzen überhaupt krankhafte Veränderungen. Andererseits fanden sich auch an Leber, Niere, Magen-Darmtractus keine Veränderungen, die eine Erklärung für den Tod gegeben hätten. Nach diesem Befund war es immerhin angezeigt, zur Klärung der Angelegenheit weitere Untersuchungen anzuschließen.

Es gelangten zur histologischen Untersuchung Stücke vom Herzen und von der Niere.

Niere: Der auffälligste Befund ist eine außergewöhnlich starke Blutfüllung aller Arteriolen und Kapillaren in allen Strukturteilen. Sonst keine wesentlichen Veränderungen. In 6 Schnitten findet sich ein geschrumpfter Glomerulus, in einzelnen Schaltstücken und Henleschen Schleifen im Sudanpräparat nur ganz feintropfige Fetteinlagerung.

Die großen Gefäße zeigen eine durchaus gleichmäßige, dünne Intima. Diagnose: Akute Blutstauung in der Niere.

Herz: Erstes Stück (wahrscheinlich linker Kammermuskel): Die Fasern sind von gewöhnlicher Breite, stark fragmentiert, nahe den Kernen in geringer Menge braunes Pigment. Das Zwischengewebe enthält hier und da kleine Fettgewebsinseln. Es ist im ganzen bei mäßigem Kerngehalt diffus vermehrt. Die Schlagaderäste haben gleichmäßige, dünne Intima.

Zweites Stück (wahrscheinlich rechte Kammerwand): Hier verhält sich der Herzmuskel ähnlich, doch ist die Fragmentation der Fasern nur gering. Jedoch sind sämtliche Kapillaren enorm stark mit Blut gefüllt, es besteht ein förmlicher Ausguss des Gefäßsystems bis in die größeren Venen hinein. An den Arterienästen nichts Bemerkenswertes

Drittes Stück (mit Trabekeln, wahrscheinlich aus der rechten Kammer): Der Muskel verhält sich wie oben, keine deutliche Fragmentation. Die Füllung der Kapillaren ist auch hier enorm stark. In den äußeren Wandschichten findet sich von der Außenhaut her mäßige Einlagerung von Fettgewebe in die Zwischengewebsräume. Die Sudanfärbungen zeigen bei allen drei Stücken gleichmäßig an einigen Stellen geringfügige, sehr feinkörnige Fetteinlagerungen.

Diagnose: Hochgradige akute Blutstauung in der Muskulatur des rechten Ventrikels.

So entsprach dieser Befund also lediglich dem beobachteten plötzlichen Todesvorgang. Für einen chronischen Bestand der Stauung sprach nichts. Die Fettdurchwachsung war so gering, dass ihr eine Bedeutung nicht beigemessen werden konnte.

Es wird nun zu untersuchen sein, ob der Tod mit der Bandwurmkur, insbesondere mit der Einnahme des Filmaronöls in ursächlichem Zusammenhang steht. Die ärztlicherseits verordnete Dosis Morphium und die Erythroltetranitrattabletten können von vornherein außer Betracht gelassen werden, da sie einerseits die Maximaldosis nicht überschritten, andererseits erst auf Grund der schweren Allgemeinerscheinungen verabfolgt wurden. Auch das Brustpulver ist als ein harmloses Gemisch von Zucker, Sennesblättern, Süßholz, Fenchel und Schwefel auszuschließen.

Über schwere Vergiftungen und Todesfälle mit Filmaron ist bisher nichts bekannt geworden. Ob die bei dem Patienten beobachteten klinischen Erscheinungen dem Bilde einer schweren Filmaronvergiftung entsprechen, kann daher mangels Vergleichsmaterial nicht entschieden werden. Auch über die körperlichen Veränderungen an Leichen liegen naturgemäß keine Beobachtungen vor. So ist das einzige Positive, was wir wissen, dass sich der Verstorbene bei der früheren Kur mit diesem Mittel sehr müde und übel gefühlt hat, und dass auch sonst gelegentlich Nebenerscheinungen geringerer Art beobachtet worden sind.

Was die Frage der Dosierung anbetrifft, so ist zu sagen, dass eine Überdosierung hier nicht stattgefunden hat, da dem Verstorbenen nur eine Originalflasche mit 10 g Inhalt zur Verfügung stand. Diese Menge ist die üblicherweise verordnete, beträgt im übrigen auch nur die Hälfte der im Deutschen Arzneibuch 6 festgesetzten Höchstdosis. Über die Dosis letalis bei Menschen ist nichts bekannt.

Andererseits wissen wir aber, dass gerade bei den Filixpräparaten die Höhe der Gabe nicht in allen Fällen das Ausschlaggebende ist. Wie bei nur wenigen anderen Arzneimitteln spielt hier einmal die Beschaffenheit des Präparates  selbst und zweitens die zweckmäßige Durchführung der Kur eine Rolle. Denn auch das einwandfreie Farnextrakt oder seine Abkömmlinge können den Organismus aufs schwerste Schädigen, wenn gewisse Voraussetzungen zutreffen. So machen sich Intoxikationserscheinungen besonders bemerkbar bei Alkoholikern, wie überhaupt nach einmaligem Genuss reichlicher Alkoholmengen kurz vor Beginn der Kur. Gefährlich ist die Anwendung von Filixpräparaten ferner bei anämischen Personen. Sie zeichnen sich  durch eine besonders stark herabgesetzte Resistenzgegenüber dem Gift aus, so dass es als Regel gilt, in solchen Fällen die Kur, falls nötig, erst nach Wochen zu wiederholen, auch die Filixdosis auf keinen Fall zu steigern. Auch eine kranke Niere kann durch Filixextrakt so geschädigt werden, dass man von seiner Verwendung unter diesen Umständen besser Abstand nimmt. Erwähnt sei noch die erhöhte Disposition zu Vergiftungssymptomen bei kleinen Kindern, sehr alten Leuten und sehr geschwächten Personen.

Da das Filmaron nun weit weniger giftig ist als das Extractum filicis, treffen die Voraussetzungen für das letztere einwandfreie Präparat für Filmaron auch nur in entsprechend geringerem Maße zu, sind aber schließlich ohne weiteres nicht von der Hand zu weisen.

Von allen diesen Möglichkeiten ist in unserem Falle keine gegeben. Die Kur ist regelrecht durchgeführt worden.

Die oben schon angedeutete Frage nach der Beschaffenheit des Präparates wäre ein weiterer wichtiger Faktor in der Aufklärung der Todesursache. Es wurden zu diesem Zwecke die chemische Untersuchung des Restes Filmaronöl, der uns zur Verfügung stand, vorgenommen. Die uns übersandte Originalflasche der Firma C. F. Boehringer und Söhne, die mit der Aufschrift: „10 g Filmaronöl“ und dem Originalstopfen versehen war, enthielt noch etwa 1 ccm einer öligen Flüssigkeit.

Sinnesprüfung: Geruch und Geschmack im Vergleich zu einem Handelspräparat „Filmaron“ derselben Firma (Aspidinolfilizingehalt kontrolliert) ergaben nichts Auffälliges. Aussehen: Gelbes klares Öl.

Wegen der sehr geringen Menge konnten nur wenige, und zwar sehr empfindliche Nachweisreaktionen herangezogen  werden.

Da durch die chemische Untersuchung kein positives Resultat erzielt werden konnte, wurden zwecks Feststellung einer etwa vorhandenen Toxizitätssteigerung im hiesigen Pharmakologischen Institut mit dem Rest des beanstandeten Öls Tierversuche ausgeführt. Hierzu seien kurz einige Bemerkungen vorausgeschickt. Filmaronöl ist als ein differentes Mittel dem freien Handel entzogen, darf nur in Apotheken und auch dort nur auf ärztliches Rezept abgegeben werden. Auf diese Weise ist eine gewisse Kontrolle garantiert. Das Fläschchen Filmaronöl, um das es sich hier handelte, ist aber verbotenerweise von einem Drogisten an den Patienten abgegeben worden. Wie der betreffende Drogist nun angegeben hat, hat er das Filmaronöl im Jahre 1927, also etwa 1½ Jahre vor der Abgabe, von einer Drogengroßhandlung bezogen. Wie lange das Mittel noch bei dieser gelagert hat, war nicht festzustellen, da der Schutzkarton mit der darauf befindlichen Kontrollnummer nicht mehr vorhanden war. Ob es die ganze Zeit über sachgemäß aufgehoben worden ist, und was überhaupt mit dem Filmaronöl auf seinem Wege von der Fabrik bis zu dem Patienten geschehen ist, entzieht sich in gleicher Weise unserer Kenntnis.

Bei den Tierversuchen wurde als Kontrollpräparat ein auf seinen Gehalt untersuchtes Filmaronöl benutzt und die Toxizität der beiden gleichzeitig bestimmt.

Je drei weiße Mäuse erhielten 0,05 ccm der beanstandeten Partie und 0,05 ccm der Kontrollprobe subkutan einverleibt. Es ergab sich, dass die drei Tiere, die mit dem zu untersuchenden Filmaronöl behandelt waren, zugrunde gingen, und zwar innerhalb ½  Stunde nach der Injektion, während die mit der Kontrollprobe behandelten zwar sehr schwer krank, indessen noch nach 4 Stunden am Leben waren und auch am Leben blieben. Sogar ein Tier, das 0,025 ccm der beanstandeten Probe erhalten hatte, wurde noch schwer krank und unterschied sich kaum von den Kontrolltieren, die 0,05 ccm erhalten hatten. Die geringe Menge der übersandten Probe ließ weitere Tierversuche leider nicht zu.

Auf Grund der vorstehenden Versuche kann angenommen werden, dass eine Toxizitätssteigerung in dem zur Untersuchung gelangten Filmaronöl vorlag. Für eine sichere Entscheidung ist die Zahl der vorliegenden Versuche zu gering.

Eine Untersuchung der Leichenteile wurde nicht mehr durchgeführt, da es von vornherein ausgeschlossen schien, die hier in Betracht kommenden giftigen Substanzen auf chemischem Wege oder in Tierversuchen nachzuweisen.

Quelle: Wilkoewitz, K.: Filmaronöl-Vergiftung, tödliche, medizinale? Sammlung von Vergiftungsfällen, Band 1, A 81, S. 183 - 186, 1930

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Stand: 31. Oktober 2007

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